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Details zu pro ( n ) to!

Der Buchstabe «n» von pronto! umfasst folgende drei Teile:

Mit der Atemübung am Schluss von open sind wir einer häufig übersehenen Perspektive unseres Erlebens begegnet. Da war einerseits das Erleben der sich wandelnden Atembewegung und andererseits die Erfahrung des gleichbleibenden Bewusstseins in den Umkehrpunkten der Atembewegung. Mit dem Fortgang der Atemübung haben sich die beiden getrennt scheinenden Erfahrungen zunehmend überlagert: Die Erfahrung des Bewusstseins selbst dauerte an parallel zur wieder erfahrbaren Dynamik der Atembewegung.  
Aus einem Entweder/Oder wird ein Sowohl/Als-auch. Wir bemerken, dass das eine Erleben zwei untrennbar miteinander verbundene Aspekte hat: die dynamischen Bewusstseinsinhalte und das gleichbleibende Bewusstsein selbst.

In den Übungen des Elements «notice» wenden wir uns diesen untrennbar verbundenen Seiten des Erlebens forschend zu. Die dabei gemachten Erfahrungen wirken zurück auf unser Erleben. Diesen Auswirkungen gehen wir in «non-doing» und «non-dual experiencing» nach.

notice - bemerken

Es ist nicht möglich, die Erfahrung des Bewusstseins in Worte zu fassen. Die Worte können nur zur Erfahrung selbst anregen und zur ihr hinführen. Sie sind gleichsam ein Fingerzeig, der uns auf etwas aufmerksam macht, was wir ohne ihn leicht übersehen könnten. Die auf alten tibetischen Belehrungen  beruhenden fünf Aspekte des Bewusstseins sind für mich der gelungenste Versuch. Sie regen uns dazu an, die immer gleichzeitig vorhandenen Aspekte des Bewusstseins selbst zu bemerken und zu erleben. Ich habe für mich die folgende knappe Formulierung dazu entwickelt:

Mittelpunktsloses Erleben, offen weit und klar,

endlos fliessend im Tanz der Phänomene,

gleich in ihrer unfassbaren Natur

und dennoch ganz verschieden,

friedlich und voller Gleichmut, das jeden Moment willkommen heisst und in sich ruht.

1. Mittelpunktsloses Erleben, offen weit und klar, …
 

Das Bewusstsein könnte – wenn auch etwas hinkend und nicht ganz zutreffend – mit einer unendlich grossen Bühne beschrieben werden. Die Bühne ist dabei nicht nur ein Raum, wie ein Theaterbühne, sondern gleichzeitig wahrnehmend, «erkennend». In diesem Raum oder auf dieser Bühne kann alles, was unser Erleben ausmacht, erscheinen. Die Bühne ist gleichsam ein unendliches Potentialfeld, das die Form eines jeden nur erdenklichen Phänomens unseres Erlebens annehmen kann. Unsere Erkenntnis- und Bewusstseins-fähigkeit wird durch nichts beschränkt (= weit) und schliesst nichts aus (=offen). Man könnte statt Bühne könnte das Bewusstsein auch mit einem Potentialfeld umschrieben werden, dass alle nur erdenklichen Formen annehmen kann.

Statt mit einer Bühne oder einem Potentialfeld könnten das Bewusstsein auch mit einer Linie vergleichen. Sie kann jede Form annehmen und bleibt doch immer eine Linie. Das spezielle an dieser «Linie» unseres Bewusstseins ist nicht nur, dass sie gleichsam unser ganzes Erleben werden kann, sondern dazu noch erkennend ja selbst-erkennend ist. Die Bühne ist nicht nur die Bühne, sondern auch das ganze Schauspiel, dass sich auf der Bühne abspielt und gleichzeitig die Zuschauer, die die Bühne und das Schauspiel auf ihr erleben.

Liniengesichter ohne Hintergrund.png

2. … endlos fliessend im Tanz der Phänomene, …                                                            
 

Wir können nun untersuchen, ob sich das Bewusstsein aufgrund der in ihm auftauchenden Phänomene verändert. Wir machen die überraschende Feststellung – nein. Das Bewusst-sein selbst, mit seiner erkennenden, räumlichen Qualität wird von den Geistesphänomenen nicht verändert. Die Phänomene sind gleichsam geformtes Bewusstsein: Die Linie nimmt zwar Formen an, bleibt aber gleichzeitig eine Linie. 
Das wird am Beispiel der Atemübung in «o» deutlich: Die Bewegung der Ausatmung ebbt ab und verschwindet im Umkehrpunkt für einen Augenblick vollständig. Das Objekt der Aufmerksamkeit, die Atembewegung ist verschwunden. Es ist aber nicht einfach nichts wahrnehmbar, sondern wir erleben das inhaltslose Bewusstsein selbst. Dann setzt die Bewegung der Einatmung ein. Wir erleben sie deutlich als multisensorisches Erleben. Gleichzeitig aber wird das Bewusstsein selbst mit seiner erkennenden, räumlichen Qualität durch die Erfahrung der Einatmung nicht verändert. Es begleitet sie gleichsam.
Wir können gar die überraschende Erfahrung machen, dass wir das selbst bei starken Emotionen beobachten können. So können wir beispielsweise wütend, bedrückt oder fröhlich sein. Das Bewusstsein selbst ist aber weder wütend, bedrückt noch fröhlich – es bleibt davon frei, ist gleichbleibend erkennend, offen, weit und klar.

3. … gleich in ihrer unfassbaren Natur …  
                                                               

Der dritte Teilsatz beschreibt eine Qualität der Bewusstseinsphänomene näher. Unser Geist ist dynamisch, was sich in den unterschiedlichsten Bewusstseinsinhalten zeigt wie Vorstellungen, inneren Bildern, Gedanken, Gefühlen, Handlungsimpulsen etc. Sie machen unser Erleben aus. Etwas, was diese Phänomene miteinander verbindet, ist der Umstand, dass sie sich laufend, unablässig verändern, entstehen und vergehen. Sie sind sich in ihrer unfassbaren, stets wandelnden Natur gleich. Es bleibt nichts von einem Gedanken, einem Gefühl übrig, wenn sie durch einen nächsten Gedanken, einem nächsten Gefühl abgelöst werden. Das wird auch dadurch beschrieben, dass sie keine Substanz haben, die immer bleiben würde. In dieser Wandelbarkeit und Substanzlosigkeit sind sich alle Phänomene des Erlebens gleich, sie sind deshalb «von gleicher Natur».

4. … und dennoch ganz verschieden …  
 

Der vierte Teilsatz beschreibt eine weitere Qualität der Bewusstseinsphänomene. Es gibt neutrale, heilsame und unheilsame Gedanken, innere Bilder, Gefühle und Handlungs-impulse. Obwohl sich alle in ihrer nichtfassbaren Natur gleich sind, gilt es sie zu unterscheiden und eine kluge Wahl zu treffen: welche tun mir und meinen Nächsten gut und welche nicht. Unser Erleben ist eine unentwegte Folge von Reizen und Reaktionen. Wir können auf die Richtung dieser Reiz-Reaktionsketten und ihre Gestalt Einfluss nehmen, wenn wir sie erkennen. Dafür müssen wir uns ihrer unmittelbaren und späteren Folgen sehr bewusst sein, wir müssen sie sehr gut kennenlernen. Unheilsame Geistesphänomene gilt es, wenn möglich gar nicht erst aufkommen zu lassen und wenn sie schon da sind, zu schwächen. Heilsame Geistesphänomene gilt es hervorzurufen, wenn sie noch nicht da sind und zu verstärken, wenn sie sich schon zeigen.
Genau das haben wir in den Übungen des Elements «r» bereits gemacht. Mit «recognize» und «respect» haben wir eine Art Bestandesaufnahme der Geistesbewegungen gemacht, die gerade unser inneres Wetter ausmachen. Und in «remember» und «reshape» haben wir uns vor Augen geführt, welches innere Wetter, welches Klima wir fördern, kultivieren möchten und ihm Raum gegeben.

5. … friedlich und voller Gleichmut, das jeden Moment willkommen heisst und in sich ruht.


Egal was wir erleben, es findet in diesem unendlichen, erkennenden Bewusstseins-raum statt. Wir erleben Angst, auch mit allen körperlichen Auswirkungen und gleichzeitig ist «das», was Angst wahrnimmt, der «Bewusstseinsraum» frei von Angst. Wir erleben Freude und Zuversicht und gleichzeitig ist «das», was Freude und Zuversicht wahrnimmt, der «Bewusstseinsraum» frei von Freude und Zuversicht. Darin sind sich Angst, Freude und Zuversicht auf eigentümliche, irritierende Art und Weise gleich.
In aller unvorhersehbaren Dynamik des Erlebens gibt es einen gleichbleibenden, davon freibleibenden Aspekt des räumlichen, erkennenden Bewusstseins. Wir erkennen und erleben die Möglichkeit, dass wir «friedlich» mit den sich zeigenden Erfahrungen sein können. Wir können mit gleichem Mut – sprich «voller Gleichmut» mit allen Erfahrungen sein, weil das Bewusstsein und die Wahrnehmungsfähigkeit selbst nicht durch die Erfahrung tangieren werden. Zudem wissen wir um unsere Fähigkeit, künftiges Erleben mitzugestalten. Beide erlauben uns «jeden Moment willkommen zu heissen».
Wir brauchen uns nicht abzuschotten, uns einzumauern, sondern wir haben die Fähigkeit und Möglichkeit mit allem, was sich im Erleben zeigen könnte, zu sein. Diese anfängliche Ahnung, die zur immer stärker werdenden Gewissheit wird, beruht auf eigener Erfahrung, dem wiederholten Erleben der fünf Aspekte des Bewusstseins. Es wird uns dadurch zunehmend möglich «im Erleben zu ruhen» und ganz und gar heimisch in ihm zu werden.
Der Satz kann ein hilfreicher Fingerzeig sein, um im eigenen Erleben die Qualitäten des Bewusstseins zu erleben. So können wir beispielsweise nach der Erahnung des Bewusstseins selbst in den Umkehrpunkten der Atmung dieses Bewusstsein mit dem innerlichen Klingen lassen des Satzes weiter erkunden.

 

non-doing - lassen

Wenn wir auf unser Alltagserleben schauen, stellen wir fest, dass wir häufig von unseren Erlebensinhalten und ihrer raschen Folge vollständig vereinnahmt werden. Es ist, als würden wir gebannt einem packenden Schauspiel folgen, dass uns keinen Moment loslässt. Wir werden von einem Erlebensmoment in den nächsten gesaugt, hecheln von einem Termin, einer Aufgabe zur Nächsten. Wir sind wie gefangen, in den endlosen Reiz- und Reaktionsketten.
Ohne dass wir uns dessen bewusst sind, dienen die meisten unserer Aktivitäten dazu, Unangenehmem aus dem Weg zu gehen oder zu beenden und Angenehmes zu erreichen oder zu halten. Die damit verbundene Zwanghaftigkeit lockert sich durch die wiederholten Erfahrungen unter «notice»:

 

  • Wir können immer und überall ins gleichbleibende Erleben des Bewusstseins finden und darin verweilen. Diese Erfahrung ist verbunden mit einem tiefen Gefühl von Angenommensein, Freude, von einfach sein können, von Ruhe und Frieden. Dieser Aspekt des Erlebens ist wie ein sicherer Hafen, ein sicheres Zuhause in aller Dynamik. Wir müssen dafür gar nichts tun, ausser den Aspekt dieses Erlebens zu bemerken.

  • Wenn wir die unbeständige und dynamische Natur der Bewusstseinsinhalte erkennen, senkt das ihre zwingende Faszination: Sie können uns immer nur für eine kurze Zeit Befriedigung unserer Bedürfnisse und die erhoffte Sicherheit schenken. Auch ein Haften an ihnen ändert nichts daran, im Gegenteil, es macht uns leidend, weil sie sich dennoch verändern. 

 

Ohne die Erfahrung des gleichbleibenden Bewusstseins selbst suchen wir Sicherheit und Befriedigung nur in den dynamischen Bewusstseinsinhalten. Weil diese aber dynamisch, fortlaufend veränderlich sind, ist die gefundene Sicherheit und Befriedigung immer nur vorübergehend. Das ist der erste unseres Erlebens.
Durch die Erfahrung des Bewusstseins selbst entdecken wir einen zweiten Aspekt unseres Erlebens, das gleichbleibende Bewusstsein selbst. Das Erleben des Bewusstseins selbst weist gleichbleibende Qualitäten auf und damit Sicherheit und Befriedigung, die sich nicht verändern.
Die Erfahrung der beiden Aspekte unseres Erlebens stärkt in uns den Mut und die Fähigkeit zu wählen und nicht auf jeden Reiz zu reagieren. Normalerweise nehmen wir unsere Gefühle, Gedanken und Handlungsimpulse als äussert wirklich und zwingend wahr. Das sind sie aber nicht. Ohne unsere Reaktion, ohne unsere Aufmerksamkeit lösen sie sich in der Regel sehr schnell auf.
Wir machen die überraschende Erfahrung, dass wir zwar die meisten Reize in unserem Erleben nicht beeinflussen können, dass wir aber nicht auf sie reagieren müssen, wir können sie ganz einfach lassen, sich auflösen lassen und friedlich Verweilen. 
Das ist mit «non-doing – lassen» gemeint.
Der Freiraum zwischen Reiz und Reaktion wird durch ein dem Psychiater Victor Frankl (1905-1997) zugeschriebenem Zitat sehr schön beschrieben:


Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum.
In diesem Raum liegen unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion.
In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.

 

Um die Reize mitzubekommen, müssen wir «pause - innehalten» und «recognize - erkennen» was gerade in unserem Erleben läuft. Mit «remember» und «reshape» stärken wir unsere Ausrichtung auf unser erwünschtes Erleben. In «offer» und «notice» entdecken wir die beiden grundlegenden Aspekte unseres Erlebens. Über alle Modulen hinweg stärken wir unsere liebevolle Aufmerksamkeit und Sammlungsfähigkeit. Alles zusammen ermöglicht uns jetzt «non-doing – lassen»: Wir können zunehmend unseren Freiraum zwischen Reiz und Reaktion erkennen und für unsere Entwicklung nutzen.

non-dual experiencing - nichtduales Erleben

Wir sind daran, mit unserem Erleben vertrauter  zu werden. Wir reden dabei ganz selbstverständlich von unserem Erleben, meinem Erleben, meine Gedanken, Gefühlen etc. Diese Ausdrucksweise setzt ganz selbstverständlich voraus, dass es da jemanden (=Subjekt) gibt, der etwas (=Objekt) erlebt. Diese Ausdrucksweise scheint auch zutreffend. Ich sehe doch den Tisch vor mir, ich höre die Strassenbahn draussen vorbei fahren, ich fühle Wut in mir etc.
Wie ist das, aber, wenn wir uns des Bewusstseins bewusst werden? Wie ist das in den Umkehrpunkten der Atmung, wenn das Bewusstsein sich selbst bewusst wird und für eine Weile in sich ruht? Versuchen Sie es einmal selbst?
Wir bemerken, dass da Erleben einfach stattfindet, ohne ein «Ich-Gefühl». Wenn wir das wiederholt versuchen, können wir zunehmend länger in diesem Erleben ohne Erlebenden verweilen, was eine wirklich wohltuend entspannende Wirkung hat. Da ist einfach nur noch Erleben ohne jemanden, der auf das Erleben reagiert. Erleben vollzieht sich einfach. Ausgehend von diesen ersten Erfahrungen können wir das auch mit anderen Wahrnehmungen ausprobieren, wie wir sie in «open» erforscht haben. Wir können erfahren, dass wir parallel zum Hören, Sehen etc. auch mit dem Bewusstsein an sich verbunden bleiben können. Wenn wir uns in die Erfahrung hineinbegeben oder uns sich ihr ganz hingeben fällt unversehens das Ichgefühl oder die Ichperspektive weg. Probieren Sie es selber aus.

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